Stefan Schneider - Klarinette
Stefan Schneider - Klarinette

Künstlerische Musikvermittlung

Ende 2023 habe ich meinen Master of Arts Musikvermittlung/Konzertpädagogik am Leopold-Mozart-College der Universität Augsburg abgeschlossen. Das Thema meiner Masterarbeit lautet:

 

spielen, hören, erkennen, vermitteln

Potentiale und Perspektiven von Musiker:innen

in der Vermittlung Neuer Musik

Einleitung

 

"[Ein] Schiff zu bauen bedeutet nicht, Leinen zu weben, Nägel zu schmieden oder die Sterne zu lesen, sondern die geteilte Liebe zum Meer zu vermitteln, [...]" (Saint-Exupéry 1951, Kapitel LXXV)

Wer kann diese ‚geteilte Liebe‘, um im Bild zu bleiben, besser vermitteln als ein Mensch, der mit seinem Schiff bei jedem Wetter auf dem Meer unterwegs ist?

Die vorliegende Arbeit macht sich zur Aufgabe, Potentiale und mögliche Rolle(n) von Musiker:innen im Feld der Vermittlung von Musik aufzuzeigen und weiterzuentwickeln. Das Wort ‚Interpret‘, bestehend aus den lateinischen Begriffen ‚inter‘ und ‚portare‘, übersetzt ins Deutsche ‚zwischen‘ und ‚tragen‘; ein ‚Interpret‘ ist dem Wortsinn nach eine Person, die etwas (die Musik) von einem Ort (der Partitur) zu einem anderen Ort (der Hörer:in) trägt. Sind nicht gerade Musiker:innen, ob im Instrumentalunterricht, auf der Bühne oder im Orchestergraben, prädestiniert, sich um die ‚Weitergabe des Feuers‘ (Gustav Mahler zugeschrieben) zu bemühen? 

Ist nicht der meist nur für die Interpret:innen sicht- und hörbare Prozess der Aneignung, des Übens und Probens schon ein wertvoller Vermittlungsprozess, der als Quelle ans Licht kommend für die Vermittlung an Nicht-Musizierende genutzt werden kann?

Um diese Fragen kreisen die Phänomene ‚spielen‘, ‚hören‘, ‚erkennen‘ und ‚vermitteln‘, sie stehen im Zentrum meiner Forschung. Es sind diese Begabungen und Erfahrungen von Musiker:innen, von Sänger:innen, Instrumentalist:innen, Dirigent:innen und Komponist:innen, die ihnen einen intensiven Zugang zur Musik ermöglichen. Das ‚Vermitteln‘ ist das Potential, das ‚spielen‘, ‚hören‘ und ‚erkennen‘ von Musik zusammenfasst und als eine Möglichkeit von erweiterter Kommunikation mit den Hörenden begreift. Musik ist wie die anderen Künste eine Spielart menschlicher Kommunikation, die uns wie keine andere die Fähigkeiten bereitstellt, sich ohne Sprache oder Bilder auf einer ‚dritten Ebene‘ auszutauschen und Erfahrungen weiterzugeben. „The fundamental nature and meaning of music lie not in objects, not in musical works at all, but in action, in what people do. It is only by understanding what people do as they take part in a musical act that we can hope to understand its nature and the function it fulfills in human life.“ (Small 1998, S. 8) Das Verstehen der Tätigkeit einer Musiker:in beim Musizierens ist für Christopher Small der Schlüssel zur Musik selbst. Die primäre Aufgabe einer Musiker:in ist die der Interpretation von Musik und das Zeigen ihrer künstlerischen Persönlichkeit; der realisierte Klang vermittelt den Hörer:innen die Musik in ihrer Form und ihrer emotionalen Botschaft. Die zweite Aufgabe ist die des vermittelnden Einbringens ihrer Potentiale als Musiker:in in das musikalische Umfeld ihrer Musik; sie vermittelt etwas über sich selbst, ihr Können als Instrumentalist:in, ihr Verhältnis zur gespielten Musik und nicht zuletzt vermittelt sie die Musik als ein Angebot an die Hörenden, sich darauf einzulassen und sie zu genießen. (Hüttmann 2018, S. 36) Die dritte Perspektive schließlich zeigt sich in der Möglichkeit des aktiven Einbringens in die Vermittlung von Musik, einerseits als transitiver Prozess der Vermittlung ‚von‘ Inhalten, andererseits als ‚Mediation‘, als Brücke zwischen ‚zwischen‘ Musik – und Musiker:in – und Hörer:in.  (ebd., S. 37-38)

Musikvermittlung hat mit Menschen zu tun, mit Räumen, Gelegenheiten, Konstellationen und mit der Stilistik der gespielten Musik. Die Neue Musik unserer Zeit und der vergangenen 100 Jahre ist aufgrund vieler ihr innenwohnender Eigenschaften ein prädestiniertes ‚Spielfeld‘ für die Musikvermittlung. Im gleichen Maße wie die als ‚traditionell‘ benannte Musik ist sie Ausdruck ihrer Zeit, der Persönlichkeit der Komponist:innen und des kulturell-gesellschaftlichen Umfelds ihrer Entstehung. Im Gegensatz zur ‚traditionellen‘ Musik sind die musikalischen Ausdrucksformen und Stilrichtungen aber ungleich vielfältiger und bunter, die Neue Musik zeigt sich als ein Spiegel unterschiedlicher Musiktraditionen und Kulturkreise, die es musikalisch und im jeweiligen Kontext zu erkunden gilt. Der offene kompositorische Umgang der Neuen Musik mit Geräuschen, mit Stille, mit Sprache und mit Klängen mag sich einem direkten und emotionalen Zugang nicht so leicht öffnen, bietet jedoch in experimentell-spielerischen Konzepten kreative und partizipative Möglichkeiten für Musiker:innen, sich als Akteure, als Mitspieler:innen und Gesprächspartner vermittelnd einzubringen.  (Rüdiger 2020, S. 13-16)

Beginnend mit der Vorstellung und Diskussion von aktuellen Vermittlungsprojekten von Neuer Musik, in der Musizierende als Akteur eine tragende Rolle spielen, bewegt sich der gedankliche Fluss dieser Arbeit über die Klärung des Phänomens ‚Neue Musik‘ zur Darstellung ausgewählter ästhetisch-philosophischer Grundlagen zu aktueller Musik und Kunst im Allgemeinen. Das mit der Definition des musikalischen Inhalts und den  grundlegenden Perspektiven des Verstehens von Kunst umrissene Kapitel ‚Spielfeld Musik‘ schließt ab mit einer Analyse von Möglichkeiten und Rollenbildern, wie es Musiker:innen gelingen kann, aktiv an der Vermittlung von Neuer Musik mitzuwirken. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich sowohl aus der Sicht der Musizierenden wie der Hörenden mit den musikalischen Potentialen ‚spielen, hören, erkennen, vermitteln‘ und leitet daraus entstehende Synergien für die Vermittlungsarbeit ab. Der ästhetische Ansatz einer „Erkenntnis durch Kunst“ (Brandstätter 2013) stellt Möglichkeiten von ästhetischer Transformation dar, Erkenntnisse sowohl durch direkte Erfahrungen aber auch durch Analogien in Sprache und Kunst zu gewinnen. Ein Exkurs thematisiert diesen ästhetischen Ansatz des ‚Zeigens und Sagens‘ (ebd. S. 24-27) flankiert von der Darstellung von Chancen für Musiker:innen, musikalische Erfahrungen in Worte zu fassen. Drei Werke der Neuen Musik, die für die Vielfalt an Stilen und Formen stehen, fassen als Matrix die vorab skizzierten Grundlagen zusammen und loten – von  meiner langjährigen persönlichen Expertise als Musiker ausgehend – die  musikalischen Potentiale und Perspektiven von Musiker:innen aus.

„Die ästhetische Abenteuerbereitschaft öffnet Sinne, Emotionen und Reflexion, wappnet uns gegen Ängstlichkeit und Angst, gegen Gleichgültigkeit und Gewalt, gibt spielerisch Anstoß zum Nachdenken über uns selbst, über unsere Reaktionen auf  Unbekanntes und Irritierendes, über unsere Vorurteile und über die Lust am Entdecken neuer Erfahrungen. Das eigene Denken, einmal herausgefordert, macht unabhängig und mutig.“ (Weiss 2016)

 

Quellen:

Saint-Exupéry, Antoine (1951): Die Stadt in der Wüste. Bad Salzig u.a.: Rauch

Small, Christopher (1998): Musicking - the meanings of performing and listening. Hanover: University Press of New England 

Hüttmann, Rebekka (2018): Wege der Vermittlung von Musik - Ein Konzept auf der Grundlage allgemeiner Gestaltungsprinzipien. 3., unveränderte Auflage, Augsburg: Wißner-Verlag

Rüdiger, Wolfgang (2020): Lust auf Neues?! - Wege der Vermittlung neuer Musik. Augsburg: Wissner Verlag 

Brandstätter, Ursula (2013): Erkenntnis durch Kunst - Theorie und Praxis der ästhetischen Transformation. Wien: Böhlau 

Weiss, Christina (2016): Irritation durch Kunsterfahrung. nmz [Online], 3/2016. https://www.nmz.de/irritation-durch-kunsterfahrung [Accessed 25.10.2023].

 

 

Stefan Schneider

Musiker             Klarinettist           München

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© Stefan Schneider 2022 aktualisiert am 14.01.2024